Um halb sieben morgens heulen die Sirenen. So ein Mist, was soll das jetzt, so früh aufstehen? An einem Samstag?
Und ich überlege seit letzter Nacht, ob ich zur Simchat Torah-Feier in die Synagoge meines Großvaters in Omer fahren soll. Nun ja, ich werde wahrscheinlich nicht fahren.
Danny und ich springen aus dem Bett, er nach rechts zu Yatir in den Schutzraum und ich nach links, um die Mädchen zu wecken, damit sie in den Schutzraum rennen. Unterwegs läuft Tavor vor mir in die entgegengesetzte Richtung, sie ist von der wacht von der Sirene aufgewacht und losgelaufen. Ich gehe weiter bis in Arbels Zimmer. Ich öffne die Tür, sie und Yatir (es stellt sich heraus, dass er hier geschlafen hat) schlafen den Schlaf der Gerechten. Ich wecke sie gestresst: “Alarm!”, und wir rennen zusammen zum Schutzraum. Die Tür wird hinter uns geschlossen, auch das eiserne Fenster, und die Sirenen hören nicht auf. Der erste Gedanke ist, dass es gleich vorbei sein wird und wir weiterschlafen können. Es ist nicht bequem im Schutzraum für längere Zeit, und ich habe bereits Lust, wieder in mein Bett zurückzukehren.
Arbel fängt sofort an zu zittern, Arme, Beine, sie liegt da und beruhigt sich nicht. Ich streichle und umarme sie und Tavor versucht die ganze Zeit zu beruhigen: Gott beschützt uns, ich bin sicher. Mach dir keine Sorgen. Er beschützt uns.
Es dauert nicht lange, bis draußen vor unserem Fenster Schüsse fallen
Leichte Waffen. Es klingt sehr nah und uns wird klar, dass es dieses Mal anders ist, dass Terroristen eingedrungen sind. Danny und ich wechseln schockierte Blicke. Wir trauen uns nicht, vor den Kindern auch nur ein Wort zu sagen. Mir kommt der Gedanke, dass dies bestimmt Schusswechsel zwischen den Terroristen und den Soldaten sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur die Terroristen auf alles schießen, und weit und breit keine Soldaten in der Nähe. Die Zeit vergeht, und ich merke, dass mein Handy immer noch im Schlafzimmer ist, und Danny und Tavor werden von Nachrichten überflutet. Arbel versucht, sich zu beruhigen, doch sie braucht lange. Tavor ist optimistisch. Sie ermutigt uns die ganze Zeit. Sie verstehen es immer noch nicht. Ich schweige. Die Schüsse dauern an, es klingt so nah, direkt vor unserem Haus.
Danny stellt sich neben die Tür und hält den Griff fest. Er bewahrt einen kühlen Kopf, zeigt keine Anzeichen von Angst. Er und ich kommunizieren durch Blicke. Ich schreibe an Rotem und Idit, unseren Nachbarn nebenan. Sie hören arabische Stimmen vor ihrem Schutzraum und es hört nicht auf. Diese Angst. Wenn nur meine Töchter es nicht hören. Sie sind groß genug, sie werden es sofort verstehen.
Die Zeit vergeht, mein Vater ruft an, danach mein Bruder (Danny ging raus, um das Handy zu holen). Sie sagen, dass Terroristen in die Siedlungen nahe dem Gazastreifen eingedrungen sind.
Ich möchte ihnen sagen, dass die Terroristen hier sind, vor unserem Haus, doch ich habe Angst, dass die Kinder es verstehen.
Ich versuche, Andeutungen zu machen. Sie verstehen und sind schockiert (mein Vater und mein Bruder).
Die Zeit fordert ihren Tribut. Die Kinder müssen aufs Klo und wir funktionieren Yatirs Papierkorb zur Toilette um. Die Schüsse hören nicht auf, und auch die Nachrichten aus der Eltern-WhatsApp-Gruppe nicht: Terroristen in den Häusern. Brennende Häuser. Leute schreien um Hilfe in meiner Nachbarschaft, wenige Meter entfernt, und ich kann nicht helfen. Niemand kann helfen. Mein Herz bricht. Grässliche Schreie über WhatsApp und Danny fasst den Türgriff stärker und lässt nicht locker.
Arbel hat sich beruhigt, aber nun bin ich dran. Schwäche, Schwindel, Übelkeit und Bauchschmerzen, die mich aufs Klo zwingen, nachdem ich Danny davon überzeugt habe, mir die Tür zu öffnen, weil ich im Schutzraum nicht kann. Ich sitze auf dem Klo und höre Schreie auf Arabisch durchs Fenster. Sie sind nicht nah, aber beängstigend. Es stimmt. Sie sind hier, und sie sind allein. Wir sind auch allein. Blass gehe ich in den Schutzraum zurück und flüstere Danny zu, er solle ein Küchenmesser holen. Er rennt, holt eins und schließt den Schutzraum. Kein Wasser, kein Essen. Danny bewegt sich nicht von der Tür und dem Griff weg. Ich biete an, ihn abzulösen, aber er will davon nichts hören. Ich bin schwach, habe leichte Panikattacken, und Arbel umarmt und unterstützt mich. Sie ist halb eingeschlafen und Yatir schaut YouTube-Videos. Ich muss wieder aufs Klo. Die Mädchen flehen mich an, nicht rauszugehen, doch ich überzeuge Danny und verlasse den Schutzraum zum zweiten Mal. Danny nutzt die Gelegenheit und rennt, um ein Glas Wasser und einen Snack zu holen. Ich kehre zum Schutzraum zurück. Yatir isst. Ich kann nicht glauben, dass er so lange durchgehalten hat.
Jetzt ist Tavor dran, Angst zu bekommen. Sie weiß bereits alles. Sie versteht, was ich so sehr gefürchtet habe, dass sie es weiss. Was ich immer gesagt habe, dass es nie passieren wird. Ich versuche sie zu beruhigen, ihr ist schwindelig, sie ist schwach, zittert.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Shelly bittet Tavor, zu fragen, wie es ihrer Familie geht. Sie antworten nicht. Yatir ruft Shellys Schwester Mor an, schickt Nachrichten, doch es kommt keine Antwort. Sie fragt mich, und ich sage ihr, dass wahrscheinlich ihr Akku leer ist. Die Zeit vergeht, und immer noch keine Antwort. Tavor sagt, sie sei um 3 Uhr morgens von Mor zurückgekommen. Sie habe kaum geschlafen. Warum antwortet Mor immer noch nicht? Mach dir keine Sorgen, mein Schatz, alles wird gut.
Die Gemeindeleiterin schickt mir eine Nachricht aus Thailand und bittet um die Telefonnummer von Shellys Freund. Er war mein Schüler. Sag mir bloß nicht, was ich nicht hören will. Sie sagt es nicht. Ich beginne bereits zu verstehen, aber ich leugne es. Solange sie es mir nicht sagen, gibt es für mich Hoffnung.
Tavor ist sorgt sich extrem, und ich befürchte das Schlimmste. Danny hält seit acht Stunden den Türgriff fest.
Arbel hat noch nichts getrunken, sie fühlt sich einer Ohnmacht nah.
Gegen halb drei erreichen Soldaten unser Haus. Sie erlauben uns, Essen und Wasser zu holen und in den Schutzraum zurückzukehren. Wir holen den Chamin [einen Eintopf, der am Shabbat gegessen wird, Anm. d. Übers.]. Keiner hat Appetit. Nur Danny und Yatir essen ein wenig.
Wir kehren für noch etwa zwei Stunden in den Schutzraum zurück. Die Schüsse hören nicht auf, doch wir haben Soldaten gesehen, also sind wir ein wenig ruhiger.
Sie schreiben in der WhatsApp-Gruppe, dass sie Shellys Eltern gesehen haben, sie seien ok. Tavor und ich atmen auf.
Um etwa halb fünf steht Lee von der Einsatzgruppe vor der Tür. Packt rasch und fahrt zum Club. Der gesamte Kibbuz ist dort. Dann sehen wir weiter.
Wir kommen im Club an, umarmen uns, weinen und erhalten die Hiobsbotschaft - Mor, 17 Jahre alt, und ihr Vater Doron wurden in ihrem Haus ermordet. Erst gestern aß sie bei mir Kibbeh und genoss es so sehr. Erst gestern saß sie bis drei Uhr morgens mit Tavor zusammen. Auch Roi [ist tot], mein wunderbarer Nachbar, ein herzensguter Mann. Und es gibt Entführte aus dem Kibbuz. Wie kann das sein?!?! Wie kann man das verarbeiten? Tavor ist am Boden zerstört. Ich auch. Ich spreche mit Nachbarinnen und Freundinnen und langsam verstehe ich die wahre Dimension des Wunders - die Terroristen sind nicht in unser Haus eingedrungen! Ein wahres Wunder. In fast jedes Haus in meiner Nachbarschaft sind sie eingedrungen. Sie haben zerstört und geplündert, und in einigen Fällen versuchten sie vergeblich, den Schutzraum zu öffnen. Die Geschichten sind schrecklich, lassen einen erstarren. Welch ein Glück, dass meine Kinder das nicht erlebt haben.
Ich fange an zu verstehen, dass ich mein Leben und das Leben meiner Familie als Geschenk erhalten habe. Was für ein Wunder.
Einen Tag später wurden wir nach Eilat evakuiert, und auch darüber habe ich viel zu erzählen, doch das ist ein Thema für einen anderen Beitrag.
Ich nerve.
Danke allen, die bis hier gelesen haben.
Und vielen Dank an unsere Einsatzgruppe, die einige Terroristen getötet und uns das Leben gerettet hat.
Zum Gedenken an Mor Meir, Doron Meir und Roi Populovski seligen Andenkens. Möge Gott ihr Blut rächen.
Maayan P.